Gertrud von Helfta
(1256-1301/1302)
Die heilige Gertrud von Helfta, (* 6. Januar 1256; † 17. November 1301 oder 1302), die als einzige deutsche Heilige auch den Beinamen „die Große“ trägt, gehört als Mystikerin, Theologin, Schriftstellerin und Seelsorgerin zu den bedeutenden Frauengestalten des Mittelalters. Vielfältig begabt, hatte sie neben ihrem hochentwickelten Sinn für Sprache und Musik vor allem auch einen offenen Blick für die Schönheiten der Natur.
Gertrud stammte wahrscheinlich aus Thüringen und wurde – vielleicht schon früh verwaist – bereits als Fünfjährige von ihrer (namentlich nicht bekannten) Familie ins Kloster gegeben. Unter der Äbtissin Gertrud von Hakeborn (1232–1291), die Helfta zu einem Zentrum wissenschaftlichen Studiums gemacht hatte, erfuhr sie eine hervorragende Ausbildung. Nach einer schweren Sinnkrise hatte sie am 27. Januar 1281 eine Christusvision, die zu einer entschiedenen religiösen Neuausrichtung führte: Gertrud erfährt Gott als Gott-Liebe. „Amor Deus“ wird für sie der eigentliche Gottesname. In liebender Sehnsucht wendet sich Gott dem Menschen zu, und in der Erwiderung dieser Liebe gelangt der Mensch zu Selbstbewusstsein und Würde.
Die überwältigende Erfahrung der Gott-Liebe, die Gertruds ganzes Leben bestimmt, findet Ausdruck in einer tiefgreifenden Theologie, in der Gott, Schöpfung und Mensch zusammengesehen werden. Gott ist so sehr Liebe, dass er in überströmender Liebe alles erschafft. Und auch die Sünde kann nicht verhindern, dass Gott sich zum Menschen hinabneigt, um ihn endgültig wieder zu sich, in seinen Ursprung, zurückzuholen. Der Mensch muss Gott nicht um Gnade anflehen; im Gegenteil: der liebende Gott geht auf den Menschen zu; ja, er wirbt darum, dass der Mensch seine Liebe erwidert! In der Begegnung mit diesem liebenden Gott gelangt dann der an sich selbst verzweifelnde Mensch zum Bewusstsein seines Werts und seiner Würde und findet Freude daran, die erlebte Liebe an seine Mitmenschen weiterzugeben. So zeigt Gertrud eine Gotteserfahrung, die völlig frei von Angst ist, den Menschen von Angst befreit und schon im irdischen Leben „Heil“ bringt.
Der Verbreitung dieser befreienden Botschaft widmete sich Gertrud sowohl in alltäglicher Seelsorge als auch in einer umfangreichen schriftstellerischen Tätigkeit. Ihre theologisch tiefgründigen „Exercitia spiritualia – Geistliche Übungen“ leiten an, offen und bereit zu werden für die Begegnung mit Gott, während der „Legatus divinae pietatis – Der Gesandte der göttlichen Güte“ ein Leben in und aus der Gnade schildert und dabei vielfältige Themen des religiösen Lebens in bildhaften Szenen erörtert. Die Endfassung dieses Buches erfolgte durch Mitschwestern aus dem „Helftaer Theologinnenkreis“, der sich um Gertrud gebildet hatte. Gertrud hinwiederum wirkte auch an der Abfassung der Offenbarungen Mechthilds von Hakeborn mit; dazu übersetzte sie Teile der Bibel und verfasste Gebete.
In all dem spricht Gertrud, entsprechend der Tradition der Bibel, nicht in theoretischen Begriffen, sondern in Bildern. Die Bilder sind zwar theologisch genau überlegt, aber sie vermitteln die Aussage ganzheitlich, indem sie Geist u n d Sinne ansprechen; zugleich lassen sie den Lesenden oder Hörenden die Freiheit, sie im Licht der eigenen Erfahrungen zu verstehen. So sind Gertruds Werke keine theologischen Lehrbücher im herkömmlichen Sinn, sondern Meditationstexte, die zur Freiheit der eigenen Gotteserfahrung anregen wollen. Dann wird man auch die zu ihrer Zeit hochmoderne „brautmystische“ Bildgebung heute in neuer Weise verstehen können: als lebendige Schilderung der Begegnung von Gott und Mensch in der „Herzenssprache“ der Minne.
Zu weltweiter Wirkung gelangte Gertrud, als ihre beiden Hauptwerke 1536 gedruckt wurden. Im Verlauf der katholischen Erneuerung des 16. und 17. Jahrhunderts verbreiteten sie sich nun nach Frankreich, Italien und über Spanien bis nach Südamerika, zu dessen Patroninnen Gertrud zählt. 1678 wurde sie ins Martyrologium Romanum aufgenommen und somit auch offiziell als Heilige anerkannt. Ihr Attribut ist das Herz, mit Jesus in der Gestalt eines Kindes. Hierbei meint die Kindsgestalt, als Symbolisierung des Wesens der Person, das Einwohnen Gottes im Innern des Menschen.
Über Konfessionsgrenzen hinweg wird Gertrud in der Gegenwart wiederentdeckt als Evangelistin einer angstfreien Religion, eines Christentums, das zum Leben befreit.
Ihr Fest wird in Deutschland und im Benediktinerorden am 17. November, sonst am 15. oder 16. November gefeiert.
Übrigens wird Gertrud von Helfta häufig fälschlicherweise als Äbtissin dargestellt mit Äbtissinnen-Stab und Pektorale. Tatsächlich war Gertrud von Helfta nie Äbtissin. Zu ihrer Zeit im Kloster war Gertrud von Hackeborn, die ältere Schwester der heiligen Mechthild von Hackeborn, Äbtissin in Helfta. Der gleiche Name – Gertrud – hat in späteren Zeiten zu Verwirrung geführt und man nahm an, es handele sich um die gleiche Person.